Einhundert Jahre Industrie  - ein Niedergang

von Thomas Hoof

In  den vergangenen 70 Jahren gab es unter Energiegesichtspunkten vier einander schnell ablösende Zeitabschnitte:

 

 - Die 1 : 50 Jahrzehnte (ca. 1950 bis 1970), in denen mit einem Barrel Öl 50 neue Barrel Öl gefördert, aufbereitet und bereitgestellt werden konnten. Aus dem Verhältnis 1 : 50 entsprang der Massenwohlstand der Nachkriegszeit; Arbeit und Kapital teilten sich den springflutartigen Überschuß im verhältnis 3 : 1. Schulden spielten nur nur zu Beginn als Hinterlassenschaft des Zweiten Weltkrieges eine Rolle.

 

 - Die 1 : 18 Jahrzehnte (ca. 1970 bis 1990), in denen mit einem Barrel Öl 18 neue Barrel gefördert, aufbereitet und bereitgestellt werden konnten. Das verengte Verhältnis schmälerte die Verteilungsspielräume zu Lasten beider Seiten, Arbeit und Kapital. Die Staaten machten sich als Lückenbüßer bereit und sprangen mit steigenden Staatsschulden in die Wohlstandsbresche; die Finanz- und die privaten Akteure folgten. Die nachfolgende Grafik zeigt die in den 1980er Jahren abhebende Schuldenkurve (globale Schulden von Staaten, Körperschaften, Banken, Nichtbanken und Privaten). In dieser Periode: 1970: fünf Billionen, 1980: neun Billionen, 1990: 28 Billionen.

 

 - Die 1 : 10 Jahrzehnte (ca. 1990 bis 2010), in denen mit einem Barrel Öl nur noch zehn neue Barrel Öl gefördert, aufbereitet und bereitgestellt werden konnten. Der weiter geschrumpfte Überschuß wurde schmerzlich. Der Wohlstand schmolz real. Die Schuldenmassen wuchsen kompensatorisch. Weltschuldenverlauf: 1990: 28 Billionen, 2000: 61 Billionen, 2010: 170 Billionen.

 

 - Die 1 : 5 Jahrzehnte (ca. 2010 bis 2025/2030), in denen mit einem Barrel Öl nur noch fünf neue Barrel Öl gefördert, aufbereitet und bereit gestellt werden können. Die weiter gestiegenen Schuldenvolumina haben einen Finanzsektor aufgeblasen, der die Realwirtschaft inzwischen um das Fünffache überwachsen hat. Die Finanzökonomie simuliert mathematisch, was in der physischen Wirtschaft mangels eines Energieüberschusses nicht mehr realisiert werden kann: Wertschöpfung.

Weltschuldenverlauf: 2010: 170 Billionen, 2020: 258 Billionen.

 

 - Es wird nun eingeläutet: Das 2 : 1 Jahrzehnt (202x bis 203x), in dem 2 Barrel Öl nötig sind, um ein Barrel Öl zu fördern, aufzubereiten und bereitzustellen. Die Periode ist logischerweise nur sehr kurz, wenn sie sich auch tatsächlich über mehrere Jahre erstrecken wird, weil die skizzierten Wirkungen des Ertragsgesetzes je nach Energierohstoff und Fördergebiet mit Zeitversatz einschlagen. Die Erdgasvorkommen werden nach Wegfall des Erdöls sehr schnell verbraucht. Die Erneuerbaren Energien spielen keine Rolle oder nur eine lokale in verfallenden industriellen Großstrukturen. Für den Umstieg von einer thermoindustriellen auf eine elektroindustrielle Gesellschaft (mit Kernkraft als zentrale Quelle) fehlen sowohl die Zeit als auch die Energieüberschüsse. Der Preis des Barrels Öl wird schließlich gegen unendlich gehen, trotzdem wird niemand mehr fördern, womit dann auch erwiesen wäre, daß keineswegs alles eine "Frage des Preises", sondern letztlich alles eine Frage der Energie ist.

 

Die kleine Skizze macht deutlich: Die wirklichen Verluste finden nicht in den Bilanzen statt und können deshalb auch mit weiteren Phantastilliarden nicht ausgeglichen werden. Sie geschehen in der Welt der wirklichen Wirtschaft, wo nicht die Mathematik regiert, sondern die Physik. Geld läßt sich drucken oder noch unkörperlicher durch eine Buchung schaffen. Energie nicht. Energie im Überschuß noch viel weniger. Und "Wirtschaften" ist niemals etwas anderes als ein Energiemanagement mit dem Ziel eines Energieüberschusses. 

Alles andere ist nur eine Simulation.

 

Aus "In zehn oder in hundert Jahren", Sezession 100, Februar 2021